Für den Erhalt der Weltmeere braucht es neue Gesetze und den politischen Willen sie umzusetzen.
Nach mehr als 15 Jahren Verhandlungen wurde Anfang März das UN-Abkommen zum Schutz der Hochsee verabschiedet. Das neue Abkommen wurde notwendig, weil wir Menschen immer weiter ins bislang wenig erforschte Territorium der Meere vordringen. Sei es, um in der Tiefsee nach Erzen, Sand und Öl zu graben oder um die wirtschaftliche Nutzung genetischer Ressourcen von maritimen Pflanzen- und Tierarten beispielsweise in der Pharmazeutik zu erforschen.
„Im Abkommen waren vor allem Zugangsrechte zu genetischen Ressourcen ein großes Thema,“ erläutert Nele Matz-Lück, Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht in Kiel, im Gespräch mit dem Südwind-Magazin.
Bislang war das Hochseerecht „löchrig“, meint die Expertin. Es gibt verschiedene Vorschriften für bestimmte Arten oder Regionen, etwa Schutzbestimmungen für weitwandernde Meerestiere wie manche Wale. Effektive übergeordnete Bestimmungen fehlten. Mit der Implementierung des neuen Hochseeabkommens soll sich das ändern.
Ein Meer für alle. Damit nicht nur finanzstarke Investoren aus dem Globalen Norden bei der Exploration der Hochsee und des Meeresbodens darunter bzw. der Tiefsee zum Zug kommen, gibt es Schutzklauseln in der Übereinkunft: So sollen Länder des Globalen Südens Ausgleichszahlungen erhalten, wenn sich Industriestaaten etwa in Gebieten südlich des Äquators die Tiefsee – der Bereich ab 200 bis 800 Metern Tiefe – nutzbar machen.
Insgesamt sind rund 70 Prozent der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt – das meiste davon in Ozeanen. Davon sind etwa zwei Drittel als „Hochsee“ ausgewiesen.
Theoretisch dürften alle Länder den Boden unter der Hochsee für Installationen und künstliche Inseln nutzen. „Aber das ist zu tief und lohnt sich nicht. Es gibt jedoch Überlegungen zu schwimmenden Inseln,“ so Seerechtsexpertin Matz-Lück. Diese könnten in Zukunft als Abbauplattformen oder für die CO2-Einlagerung im Meer genutzt werden.
In die Tiefe. Eine Thematik, bei der Matz-Lück hofft, dass sie noch länger nicht wirtschaftlich relevant sein wird, ist der Tiefseebergbau. Erste Versuche haben gezeigt, dass sich der Tiefseeboden an manchen Stellen nach 30 Jahren noch nicht regeneriert hat. Bei einem Abbau in Zukunft müsste es ein Einverständnis geben, dass man bestimmte große Gebiete komplett opfert und andere unberührt lässt.
Die Seerechtsexpertin betont, dass die Ozeane „kein rechtsfreier Raum“ sind. Allerdings seien vorhandene Regularien, zum Beispiel zur Ressourcenschonung im Meer, immer nur so gut, wie Staaten sie gegenüber privaten Akteuren durchsetzen. Dem stimmt auch Sindhura Polepalli zu. Sie berät u. a. die indische Regierung in Sachen Seerecht. Gegenüber dem Südwind-Magazin gibt sie jedoch ihre persönliche Meinung wieder: „Zur Regulierung der Nutzung der Ozeane reichen adäquate internationale Regeln nicht“, so die Juristin. Es brauche zudem effektive regionale und bilaterale Mechanismen.
Maritime Verfassung. Das hat das bislang umfassendste Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen aus 1982 gezeigt: Bei dieser von vielen „Verfassung der Meere“ genannten Vereinbarung wurden Grenzen in den Weltmeeren festgelegt (siehe Grafik). Durch die Schaffung der „ausschließlichen Wirtschaftszone“ (AWZ) bis in 200 Seemeilen (ca. 370 km) Entfernung von der Küste wurde erstmals jedem Küstenstaat – geografisch bedingt gehören die meisten davon dem Globalen Süden an – eine exklusive Zone zur Bewirtschaftung zugesprochen, etwa für den Fischfang.
Für diesen hat sich seither als Fanggrenze der sogenannte „maximum sustainable yield“ etabliert, also das Maximum, das nachhaltig gefischt werden kann. Auch hier ist die Implementierung die Problematik. „Wenn Staaten es wollten, könnten sie eine Art Weltbehörde schaffen, um etwa Fischfangquoten durchzusetzen – es gibt aber keine politische Bereitschaft dazu“, erklärt Seerechtsexpertin Matz-Lück.
Dem SRÜ zufolge müssten sich Hafenstädte weigern, Fische anzunehmen, die nicht in Einklang mit den Abkommen gefischt worden sind. Einige Häfen schauen jedoch nicht so genau hin und einige Flotten operieren unter falscher Flagge, um Kontrollen zu umgehen.
Großer Fisch frisst kleine. Am Papier sind alle Parteien gleich. Faktisch gelte laut Matz-Lück dennoch meist ein Recht der Stärkeren. Als Beispiel nennt sie den illegalen Fischfang. So ist etwa Chile über 4.000 km lang und seine ausschließliche Wirtschaftszone ist dementsprechend groß. Das müsse man erstmal schaffen zu schützen, gibt Matz-Lück zu bedenken. „Wenn wirtschaftlich benachteiligte Länder ihre Rechte nicht mehr verteidigen können, dann kommen große Flotten und fischen illegal,“ sagt die Expertin.
So geschehen etwa in Somalia: Als alles abgefischt war, sei somalischen Fischern fast nichts mehr anderes übriggeblieben, als zur Piraterie überzugehen. Die tatsächliche Implementierung von Zusagen auf Papier hänge immer, betont die indische Juristin Polepalli, von den einzelnen, betroffenen Staaten ab.
So sind auch wieder die Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, und besonders regional wie international tätige NGOs gefragt, genau hinzuschauen, wenn Politik und Wirtschaft in den Lebensraum Meer eingreifen wollen.
Barbara Ottawa, freie Journalistin in Wien, verfasste den Beitrag und unterstützte die Redaktion in der Produktion dieser Ausgabe des Südwind-Magazins in Vertretung von Christine Tragler.
Das Seerechtsübereinkommen (SRÜ), das 1982 in Kraft trat, teilt das Meer in Zonen: die Zwölf-Seemeilen-Zone, die 200-Seemeilen-Zone und die Hochsee. Mit dem SRÜ wurde auch der Internationale Seegerichtshof (ISGH) mit Sitz in Hamburg geschaffen. Die 21 Richter:innen, die nach den Regionalgruppen der UN besetzt sind, behandeln u. a. Fälle zu Meeresgrenzen, Piraterie und Seenotrettung.
Anfang März 2023 wurde das UN-Abkommen zum Schutz der Hochsee verabschiedet. Damit sollen nun 30 Prozent der Weltmeere als Schutzgebiete ausgewiesen werden. Der Boden unter der Hochsee wird schon seit 1994 von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) der UN in Jamaika verwaltet.
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